Wenn die Sucht unseres Kindes den Familienalltag aus den Fugen wirft, stehen wir als Eltern vor einer tiefgreifenden Krise. Der Nur-für-mich-Notfall-Koffer bietet sofortige Unterstützung.
Die Sorgen um unsere Söhne und Töchter dominieren unseren Alltag. Wir selbst geraten an den Rand unserer physischen und emotionalen Belastbarkeit, die Krise kann uns krank machen. Höchste Zeit für ein paar Hilfestellungen, die wir Eltern für andere Eltern in einen Koffer gepackt haben.
Es müssen nicht immer die großen Aktivitäten sein, die das Gefühl der Hilflosigkeit mindern. Oftmals sind es die kleinen Dinge und neue Sichtweisen, die uns Kraft schenken – oder auch ein Sich-bewusst-Machen, das uns auf andere Gedanken bringt.
- Die Frage „Wer ist daran schuld, dass es so gekommen ist?“ ist nicht relevant. Weder für den Betroffenen noch für uns Eltern. Nützliche Fragen drehen sich darum, was zur Unterstützung unseres Kindes nötig ist und wie wir uns selbst helfen können. Im Austausch mit anderen erfahre ich: Ich darf mir meine Emotionen zugestehen. Ich darf mir Zeit einräumen, das Ganze zu verdauen. Ich darf Arbeit erst einmal liegenlassen, darf mir Freiraum schaffen. Ich muss nicht von mir verlangen, alles einfach so wegzustecken.
- Ich versuche, mich zu beruhigen und Abstand zu gewinnen – auch räumlich. Ich treffe mich mit anderen Menschen, rede mit guten Freunden und spreche mir einfach alles von der Seele.
- Ich weiß: Mein Kind ist immer noch mein Kind – und es ist ein Kind mit einem Suchtproblem. Ich versuche es so anzunehmen, wie es ist.
- Ich versuche aber auch, Distanz zu bekommen, die mir Luft zum Atmen lässt. Ich versuche mir vorzustellen, was ich meiner besten Freundin in einer solchen Situation raten würde. Das rate ich mir selbst.
- Ich mache mir klar, dass diese Krise sich nicht von heute auf morgen überwinden lässt. Bei längeren Durststrecken versuche ich, nur für diesen einen Tag zu denken, mir Inseln der Entspannung einzubauen, mir möglichst jeden Tag etwas Gutes zu tun. Ich finde heraus, was das ist – ob Kochen oder Waldspaziergang, ob Radeln oder Lesen, Sport machen, Musik hören oder im Chor singen. Ein Tipp aus der Elternselbsthilfe: Gemeinschaft in einer Gruppe zu erleben und etwas gemeinsam aktiv zu machen trägt nachweislich mehr zur Lebenszufriedenheit bei, als Entspannung nur passiv zu konsumieren.
Sobald ich mich einigermaßen stabil fühle, beginne ich mit meiner persönlichen Analyse: Wo stehe ich? Wo will ich hin? Ich arbeite daran, wieder zu mir selbst zu finden, meinen Lebensplan aufzuschreiben und umzusetzen. Dabei weiß ich, dass auch ein guter Plan scheitern kann und dies nichts mit persönlichem Versagen zu tun hat.
Unser Reflex als Eltern ist, unserem Kind helfen zu wollen. Das ist für Eltern ganz natürlich, denn es ist ja unsere biologische Rolle. Bei einer Drogensucht unserer Kinder besteht die Gefahr, dass wir helfen wollen, aber nicht können, z.B. weil wir nicht wissen, was hilft oder dass die Hilfe von unserem Kind nicht angenommen wird. Dann arbeiten wir uns nutzlos am „Helfenwollen“ ab, und im Familiengefüge eskaliert es immer mehr. Wir Eltern können und müssen die Last nicht allein tragen! Unterstützung durch Beratungs- und Hilfeeinrichtungen können Last abnehmen. Oft sind sie sogar die besseren Hilfepartner. Für uns selbst gibt es ebenfalls Hilfen.
- Ich beziehe erwachsene Vertrauenspersonen des Kindes ein. Sie sind oft bessere Ansprechpartner für unsere Kinder als wir Eltern.
- Ich suche Beratungsstellen auf: Familienberatungsstellen, kommunale Drogenberatung im Gesundheitsamt und/oder vorhandene freie Träger der Suchthilfe in der Kommune, Jugendamt (bei minderjährigen Kindern; minderjährigen Drogensüchtigen und ihren Familien stehen nach SGB VIII umfangreiche Hilfen zu).
- Hausarzt oder einen Psychotherapeuten aufsuchen und ihm die Situation anvertrauen, um für sich selbst Krisenunterstützung zu bekommen: https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/krisenotfall/akute-psychische-krise.
- Ich tausche mich mit meinem Partner bzw. meiner Partnerin darüber aus, welche Wege wir gehen können oder welche Strategien wir verfolgen wollen. Alles, was wir als Eltern planen und umsetzen, verändert automatisch die Familiendynamik. Über das richtige Vorgehen im Umgang gibt es zwischen uns als Erziehenden nicht immer Einigkeit. Wir diskutieren offen miteinander und respektieren, dass jede(r) vielleicht unterschiedliche Herangehensweisen favorisiert und seine eigenen Grenzen hat: Wobei unterstütze ich mein Kind, wo bleibe ich außen vor? Was kann ich aushalten, was kann und will ich nicht aushalten?
- Ich versuche, zu meinem suchtkranken Kind eine klare Haltung in Bezug auf Sucht und Drogen zu beziehen und Grenzen zu setzen. Dabei setze ich nur Grenzen und Konsequenzen, die ich selbst aus- und durchhalten kann.
- Ich denke mit meinem suchterkrankten Kind über eine räumliche Trennung nach und rede offen mit ihm darüber. Ich kann die Drogenberatung oder das Jugendamt bitten, ob sie diese Gespräche moderieren und helfen können, eine für beide Seiten tragbare und machbare Lösung zu finden.
Ich achte auf die Geschwisterkinder. Sie leiden auch unter der familiären Situation. Sie brauchen meine Offenheit, Unterstützung und Schutz. Eine tragbare familiäre Situation herzustellen heißt, dass es auch für die Geschwisterkinder tragbar sein muss und sie nicht im Schatten des von der Drogensucht betroffenen Kindes unsichtbar werden.
Ratschläge gibt es wie Sand am Meer. Auch wenn sie mit Sicherheit gut gemeint sind, sind sie nicht immer hilfreich oder richtig. Ob Tipps von Profis oder von guten Freunden – wer nie mit einem drogensüchtigen Kind zusammengelebt hat, kann vieles einfach nicht nachvollziehen.
- Ich traue meinem eigenen Bauchgefühl. Es gibt nicht „den Weg“ durch die Suchterkrankung, sondern nur den, der für mich selbst passt.
- Einen lebenserfahrenen Rückhalt bekomme ich von anderen Betroffenen. Ich suche mir eine Selbsthilfegruppe für Eltern/Angehörige. Sie kennen die gleichen Ängste, Sorgen und Nöte wie ich. Jede Kommune hat eine Selbsthilfekontaktstelle, die Auskunft geben kann, ob es eine solche Gruppe vor Ort gibt. Selbsthilfegruppen können auch nach Orten im Internet recherchiert werden: www.selbsthilfenetz.de. Alle den Landesverbänden in NRW angeschlossenen Gruppen finden sich unter www.arwed-nrw und bundesweit unter www.bvek.org.